LÄNDLICHE ANSIEDLUNG


Der heimische Stadtmensch will eigentlich auf’s Land – die Landbevölkerung von dort nicht weg. So der Tenor einer Market-Studie, die im Auftrag des Fachverbands der Stein- und keramischen Industrie, BAU!MASSIV!, erstellt und von der Plattform wohnnet.at im März 2017 veröffentlicht wurde. Ausschlaggebend für das Land seien die flächendeckend verfügbare Infrastrukturausstattung, der Faktor Lebensqualität und die vergleichsweise leistbarere Wohnwirklichkeit. Was für die Stadt spricht sind Ausbildungschancen und Jobs, so die zusammengefassten Studienergebnisse.

In der Market-Meinungsumfrage wurde erhoben, dass in Wien die Hälfte und sogar zwei Drittel der anderen Stadtbevölkerungen gerne in ländlichen Gegenden wohnen würden. Was sie in der Stadt hält, sei das Ausbildungs- und Jobangebot, heißt es in der Studie.

Trotz dieser gesellschaftlichen Entwicklung sehen sich die ländlichen Bereiche seit Jahrzehnten mit dem Phänomen der Landflucht konfrontiert. Aus dieser Gemengenlage hat der SENAT DER WIRTSCHAFT eine Idee entwickelt, um ein Programm zur Ansiedlung im ländlichen Bereich umzusetzen. In dieser Ausgabe des PLÄDOYER wird die Idee dargestellt und die notwendigen nächsten Schritte geortet, um die Relevanz der Idee wissenschaftlich zu untermauern.

AUSGANGSPUNKT

Der Anlass für die Entwicklung neuer Ideen für ländliche Ansiedlung entstand bei der Beobachtung ländlicher Infrastrukturentwicklungsprojekte ohne nachhaltige Wirkung auf die Bevölkerungsdichte, Zuzug und Arbeitsplatzschaffung.

  • Eine dieser Regionen befindet sich im nordsteirischen Grenzgebiet zu Niederösterreich, in den Gemeinden Mariazell/St.Sebastian auf steirischer bzw. Mitterbach/Annaberg auf niederösterreichischer Seite. Jahrelang lieferte man sich ein wechselseitiges „Infrastruktur-Wettrüsten“ ohne relevante Auswirkungen auf die Demoskopie und Wirtschaftsentwicklung der Region. Der Bau eines großen Kongresszentrums auf steirischer Seite, des Mariazeller Europeums, bewirkte den Neubau der Sessellifte auf die niederösterreichische Gemeindealpe, die wiederum zu einer Erneuerung der Seilbahn auf die Mariazeller Bürgeralpe und in weiterer Folge zur Revitalisierung der Mariazellerbahn führte. Mit dem Scheitern des Konferenzzentrums (nach entstandenen Gesamtkosten von ca. 15 Mio. Euro), das schließlich zu einem Bruchteil der Errichtungskosten von einem großen Unternehmen der Region als Betriebsstätte gekauft wurde, vergab das Land NÖ die Landesausstellung 2015 „Ötscher:Reich“ an die Region, was weitere Investitionen von 20 Mio. Euro mit sich brachte. Die Landesausstellung selbst zog über 280.000 BesucherInnen an und bewirkte lt. offiziellen Angaben rund 30 Millionen Euro netto an zusätzlicher regionaler Wertschöpfung, rund 40 Millionen Euro netto Gesamtumsatz in der Ausstellungsregion und eine Nächtigungssteigerung im „Ötscher:Reich“ von insgesamt rund 15 Prozent.

Trotz all dieser Maßnahmen sinkt die Bevölkerungsanzahl und auch die Anzahl der Unternehmen in der Region konstant. Grund genug für den SENAT DER WIRTSCHAFT zu überlegen, ob es andere Modelle gibt, um die ländliche Entwicklung zu fördern.

DIE GRUNDIDEE

Die vom SENAT DER WIRTSCHAFT zur Diskussion und zur wissenschaftlichen Evaluierung gestellte Idee umfasst folgende Grundzüge:

  • Statt Millionen in Infrastrukturprojekte zu investieren, soll in Menschen investiert werden.
  • Handwerker und Gewerbetreibende in vorab ausgewählten Branchen samt deren Familien, die gerne am Land leben wollen, sollen eingeladen werden, dies zu realisieren und erhalten dafür ein „bedingungsVOLLES Grundeinkommen“.
  • Die Bedingungen für den Erhalt des Grundeinkommens sind:

– Umzug in eine bestimmte ländliche Region

– Ausüben des eigenen Handwerks oder Gewerbes zu den marktüblichen Preisen

– Bindung für eine noch zu bestimmende Anzahl von Jahren

  • Wenn damit in einer Region, die aktuell nur mehr 3.000 bis 5.000 Einwohner hat, früher aber ca. 10.000 Menschen umfasste, belebt wird, liegt der Schluss nahe, dass sich daraus ein regionaler Wirtschaftskreislauf entwickelt – eine regionale Mikroökonomie.
  • Nach der noch zu definierenden Anzahl von Jahren wird das „bedingungsvolle Grundeinkommen“ schrittweise – in Korrelation mit den aus der eigenen unternehmerischen Tätigkeit erwirtschafteten Erträgen – auslaufen. Daraus entsteht ein regressives Fördermodell ohne „Langzeitförderungs-Charakter“ und mit genau planbarem Investment der öffentlichen Hand.
  • Mit dem Auslaufen des „bedingungsvollen Grundeinkommens“ kann frei entschieden werden, ob man in der Region bleibt oder nicht.

DIE GEWÜNSCHTE AUSWIRKUNG AUF DIE LÄNDLICHE ENTWICKLUNG

  1. Entstehung einer neuen ländlichen Community von „PionierInnen“ mit Gründer- und Entdeckermentalität.
  2. Massiver Anstieg der Bevölkerung in der selektierten Region inkl. Kaufkraft-Steigerung aufgrund des bedingungsvollen Grundeinkommens.
  3. Massiver Anstieg der Vielfalt von Unternehmen in verschiedensten Handwerks- und Gewerbebereichen.
  4. Attraktivitätssteigerung der Region für Tourismus durch eine pulsierende Region.
  5. Stärkung des regionalen Vereins-, Kunst- und Kulturlebens durch eine breitere Basis von Menschen, die diese Aktivitäten konsumieren bzw. dadurch mitunter motiviert werden, selbst aktiv zu werden.
  6. Schaffung von neuen Arbeitsplätzen einerseits durch den Zuzug und andererseits, bei positiver Entwicklung der angesiedelten Handwerks- und Gewerbebetriebe, das Auslösen eines „Schneeball-Effekts“ für Beschäftigung und Ausbildung durch die neuen Unternehmen.

EMPFEHLUNG: NÄCHSTE SCHRITTE

Der SENAT DER WIRTSCHAFT empfiehlt, die Idee auf deren Realisierbarkeit wissenschaftlich untermauern zu lassen. Dabei müssen mehrere Variable genauer definiert werden, um darauf ein konkretes Modell aufbauen zu können. Nach der wissenschaftlichen Arbeit kann ein Pilotprojekt in einer Region umgesetzt werden, um den Proof-of-concept zu erbringen.

Die aus der Sicht des SENAT DER WIRTSCHAFT wissenschaftlich zu untersuchenden Faktoren sind folgende:

  • Wie groß muss die Grundgesamtheit sein, damit ein regionaler Wirtschaftskreislauf entstehen kann? Oder mit anderen Worten: Wieviele Personen müssen in eine Region ziehen, damit diese wirtschaftlich wieder aktiviert werden kann? (Ableitungen aus gut funktionierenden regionalen Wirtschaftsräumen sind wahrscheinlich möglich).
  • Wie lange dauert auf der Basis der Grundgesamtheit das Entstehen eines solchen Kreislaufs, als Basis für die Anberaumung der Dauer des regressiven Fördermodells?
  • Auf Basis welcher Faktoren soll die Region ausgewählt werden, d.h. was sind die Anforderungen an die Region (z.B. touristische Möglichkeiten, neu zu schaffende Verkehrsanbindungen etc.)?
  • Wie hoch muss das „bedingungsvolle Grundeinkommen“ für eine Zuzugs-Familie sein, unter der Berücksichtigung des Umstands, dass in ländlichen Regionen meist große Leerflächen für Wohnraum und Unternehmens-Nutzflächen vorhanden sind?
  • Für wie lange wird die Vorbereitungsdauer eines solchen Projekts geschätzt?

Die Beantwortung dieser Forschungsfragen kann Gegenstand einer wissenschaftlichen Arbeit im Rahmen von Fachhochschulen, universitären Lehrgängen und Universitäten sein.

CONCLUSIO

Regionale Entwicklung darf nicht länger mit der Investitionssumme für infrastrukturelle Erneuerung gleichgesetzt werden. Es ist erwiesen, dass diese Betrachtung die strukturellen Probleme einer Region nicht löst und die Landflucht nicht eindämmt, von einer Belebung durch Zuzug ganz zu schweigen. Es braucht neue Modelle, die einhergehen mit den gesellschaftlichen Wünschen eines relevanten Anteils der Gesamtbevölkerung und deren wirtschaftlichen Anforderungen. Der SENAT DER WIRTSCHAFT ist bemüht, hier einen aktiven Beitrag zur Ideenfindung und –realisierung zu leisten!

Wien, 25. April 2017

Für den SENAT DER WIRTSCHAFT Österreich

  • Hans Harrer, Vorstandsvorsitzender
  • Jochen Ressel, Geschäftsführer – Operations

Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung mit länderübergreifender Relevanz werden auch im „EEDF-EUROPEAN ECONOMIC DANUBE FORUM“, der Wirtschaftsentwicklungsplattform für den Donauraum des SENAT DER WIRTSCHAFT, diskutiert, bei dem u.a. auch für ländliche Entwicklung relevante Smart-Region-Konzeptionen entwickelt werden.

Die SENATs-Initiative „EEDF-EUROPEAN ECONOMIC DANUBE FORUM“ wird von folgenden Institutionen unterstützt:

  • EU-Strategy for the Danube Region – PAC8 “Competitiveness”
  • European Commission

Für weitere Informationen zu diesem PLÄDOYER sowie zu den Aktivitäten des SENAT DER WIRTSCHAFT bzw. zu den mit ihm verbundenen Initiativen, wie z.B. EEDF, wenden Sie sich bitte an:

  • Jochen Ressel, Geschäftsführer – Operations | SENAT DER WIRTSCHAFT
  • j.ressel@senat.at
  • +43-1-505 35 38-0