Die aktuelle Corona – Krise und ganz konkrete Wirtschaftspolitik

Wir stecken mitten in der schwersten Krise der Nachkriegszeit. Die zweite Welle der Covid 19 – Infektionen greift schneller um sich und die Zahl der Arbeitslosen steigt ebenso wie Zahl der Selbständigen, die ihre Existenzgrundlage verlieren.

Viel wird davon geredet, mit Hilfe der Europäischen Zentralbank enorme Beträge für Investitionen vorzusehen, die gleichzeitig dem Umweltschutz dienen sollen.

Es gibt in Österreich Vorhaben, die für eine solche Finanzierung mit Hilfe der EZB durchaus in Betracht kämen, wie zB Projekte der Zementindustrie oder das Projekt der Voest zur Stahlproduktion mit Wasserstoff. Allerdings haben diese Projekte problematische Konsequenzen für die Kostenstruktur der Unter-nehmen und sind unbestritten langfristiger Natur.

Dabei gibt es ja doch etliche Ansätze für konkrete Maßnahmen, die entweder kurzfristig in Angriff genommen werden, oder aber zumindest kurzfristig auf Machbarkeit geprüft werden könnten. Einige davon möchte ich nachstehend vorstellen.

  1. Eine bekannte Auswirkung der ersten Covid 19 – Welle war der Zusammenbruch vorhandener Lieferketten und die Erkenntnis vieler Großunternehmen, dass sie zur Sicherung der laufenden Produktion ihre Lieferketten breiter werden aufstellen müssen. Das bietet jede Menge Chancen auch für kleinere österreichische Unternehmen, neu als Lieferanten tätig zu werden. Erste rasch zu ergreifende Maßnahme wäre daher ein Auftrag an die österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitute, diese Veränderungen und die damit verbundenen Chancen zu analysier-en, und die Ergebnisse der österreichischen Wirtschaft zur Verfügung zu stellen.
  2. Es mangelt in Europa nicht an verfügbaren  Technologien, sondern eher am politischen Willen, diese zu einer Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene zu nutzen. Es gibt in Europa noch immer keine einheitliche automatische Kupplung für Güterwaggons, es gibt sogar immer noch unterschiedliche  Netzspannungen und komplexe Übergabebestimmungen an Grenzen. Hier könnte vergleichsweise kurzfristig (allerdings bei nötiger Abstimmung mit den auf diesem Gebiet noch recht zögerlichen Gewerkschaften)  ein Innovationsschub in Gang gesetzt werden, der sowohl rasch umsetzbare Investitionen als auch eine beträchtliche Entlastung der Umwelt bringen könnte.
  3. Von der (relativ) neuen Wasserstofftechnologie wird viel in der Stahlindustrie und im Zusammenhang mit neuen Antrieben für Autos erwartet. Beides wird noch eine gute Weile bis zur praktischen Umsetzung brauchen. Dabei gäbe es einen Anwendungsbereich, der anders als bei Autos technisch leichter und rascher zu bewältigen wäre, dies nämlich wegen der dabei möglichen höheren Tankgröße, für die daher auch weniger Miniaturisierungsprobleme anfallen: Nämlich die Umstellung von Ölheizungen auf Heizungen mit Wasserstoff. Fast die Hälfte der CO2 Emissionen entfällt immer noch auf Hausbrand und Ölheizungen. Hier könnte – nicht zuletzt mit technischem und wirtschaftlichem Nutzen für heimische Kesselerzeuger – die Entwicklung eines schlüssigen Gesamtkonzeptes mit überschaubaren Kosten und enormen positiven Effekten für die Umwelt verbunden werden.
  4. Wasserstoff hat die besondere Eigenschaft, mit Hilfe von Elektrolyse hergestellt werden zu können, ohne die Umwelt zu belasten. Kleine Anlagen zur Gewinnung von Solarenergie können in jedem Garten aufgestellt werden. Dieser Strom kann somit in Eigenregie privater Haushalte zur Gewinnung von Wasserstoff für den Betrieb der eigenen Heizung verbunden werden. Die Entwicklung solcher Systeme wäre, da aus lauter bekannten Komponenten bestehend, kurzfristig möglich, würde bei Haushalten mit Wasserstoffheizung auf großes Interesse stoßen und somit die heimische Produktion fördern.
  5. Zur Gewinnung von Wasserstoff gibt es interessante neue Ansätze. So beschäftigt sich das Unternehmen H2 aus Niedersachsen mit der Gewinnung von Wasserstoff aus den Gärgasen von Biomüll im Rahmen eines beschleunigten Gärungsprozesses. Das bekannte deutsche Fraunhofer – Institut hat eine Schätzung zum Wirkungsgrad dieses Prozesses abgegeben und kommt auf über 70 %. Für den ländlichen Raum Österreichs könnte dies eine erhebliche Bereicherung darstellen.
  6. In so manchen Industriestaaten entstehen technologische Innovationen aus Entwicklungen von Universitätsinstituten, die sodann von Investoren bis zur Marktreife hin finanziert werden. In Österreich ist so etwas eher selten, obwohl es auch bei uns nicht an Ideen mangelt. Warum nicht eine Task Force aus Mitarbeitern der bestehenden Forschungförderungs-institutionen und Kapitalmarktexperten zusammenstellen, die offensiv auf die gar nicht so wenigen Universitätsinstitute mit technischem oder medizinischen Potential zugehen, vorhandene Forschungsprojekte auf möglichen marktwirtschaftlichen Nutzen analysieren und sie mit potentiellen Investoren zusammenbringen können?
  7. Das Problem der Plastikabfälle ist weltweit viel zu groß, um durch das Recycling von Plastikflaschen auch nur ansatzweise gelöst zu werden. Plastik gibt es auch in jeder Menge anderer Formen. Ein ganz anderer Ansatz wäre die chemische Rückumwandlung in die Kohlenwasserstoffe, aus denen Plastik schließlich geschaffen wird. Erfolge auf diesem Forschungsgebiet hätten enorme praktische Konsequenzen für die weltweite Sorge, was mit den Bergen von Plastikmüll geschehen soll.
  8. Österreich hat nach wie vor enorme Reserven an Wasserkraft. Ihr weiterer Ausbau stößt noch auf heftige Gegenwehr. Es gäbe aber einen gar nicht so kleinen Bereich, in dem es ein starkes zusätzliches Argument für den Bau von Wasserkraftanlagen gibt, das vor allem von der ansässigen Bevölkerung unterstützt und daher kaum auf Widerstand stoßen würde. Das wäre der Bau von Retentionsbecken in Bereichen, in denen schwere Unwetter auch schwere Schäden verursachen könnten. Das dient in erster Linie dem Schutz der Anrainer, aber es sollte kein Problem sein, solche Becken auch mit Turbinen zu versehen.
  9. Ein grundsätzliches Problem jeglicher Innovationsförderung wird derzeit nicht diskutiert: Innovationen sind ihrer Natur nach risiko-behaftet. Die derzeitige Bankenregulierung bemüht sich im Interesse aller Sparer darum, bei den Banken die Übernahme von Finanzierungsrisken zu minimieren. Das wäre kein Problem, wenn ein leistungsfähiger Kapitalmarkt existiert, der unternehmerische Risken zu tragen bereit ist. Das ist in den USA in hohem Maße der Fall, in Europa nur gelegentlich, in Österreich kaum. Risikokapital stammt, wie beispielsweise bei Private Equity Funds, vornehmlich aus dem Ausland. Das bedeutet aber, dass bei risikobehafteten Innovationen der Ertrag, und das Eigentum kaum je im Lande bleiben, und in Österreich Auslandskapital eine immer größere Rolle spielt. Die praktischen Folgen merkt man gerade. Da man aber Risikobereitschaft nicht einfach vorschreiben kann, ginge es darum, bestehende Haftungsinstrumente zu stärken. Dafür bieten sich die bestehenden Kreditbürgschaftsgesellschaften an, die derzeit eher ein Schattendasein führen, und ein systematischer Ausbau der bei verschiedenen Institutionen und auch Bundesländern vorhandenen Möglichkeiten der Haftungsübernahme. Das erste und wichtigste wäre zunächst einmal die Entwicklung eines Problembewusstseins für die Bedeutung der Risikotragfähigkeit einer Wirtschaft für die weitere Entwicklung. Risikokapital ist in Österreich nur knapp verfügbar. Je mehr davon, desto besser für die Wirtschaft
  10. Der Ruf nach Deregulierung ist nichts Neues, wird aber weiterhin nicht gerne gehört, obwohl er immer verzweifelter klingt. Clemens Fuest, Chef des Info – Institutes, hat schon vor Jahren gewarnt: „Überregu-lierung erstickt Deutschlands Wachstum“. Nur das Deutschlands?  Man könnte doch wenigstens versuchen, weitere belastende Vorschriften  zumindest auf Dauer der Krise zurückzustellen, und für Klein- und Mittelbetriebe die Ausnahmen zu erweitern. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ lieferte in Ihrem Wirtschaftsteil am 6.10. die Schlagzeile: „Bürokratie -Tsunami rollt auf Unternehmen zu“. Wenn irgendetwas ausgerechnet in der gegenwärtigen Krise unterlassen werden sollte, dann das.
  11. Umwelttechnologien spielen eine immer größere Rolle. Österreich verfügt hier über ein etwas zu wenig geschätztes Asset: Die Entsorgungsbetriebe Simmering verfügen über eine der besten Filtertechnologien Europas und haben nur bisher auf eine kommerzielle Nutzung verzichtet. Es sollte zumindest geprüft werden, ob und inwieweit durch kommerzielle Nutzung und den weiteren Ausbau dieser Technologien eine stattliche Anzahl von Arbeitsplätzen geschaffen werden kann.
  12. In den Abwässern werden überall immer resistentere Keime gezüchtet. Der Grund ist leider ganz einfach: Viel zu viele Menschen werfen Medikamente in den Abfall, anstatt sie durch Apotheken fachgerecht entsorgen zu lassen. Die meisten Keime überstehen das nicht. Diejenigen, die das überstehen, werden aber immer resistenter und damit immer gefährlicher. Dieses ungeheure Problemfeld wird bisher kaum behandelt. Hier anzusetzen, wäre ganz besonders verdienstvoll.

Alles, was ich hier kurz zusammengefasst habe, sind zunächst einmal nur Ansätze, die zu verfolgen sich aber sehr wohl auszahlen könnte. In der gegenwärtigen tiefen Krise wäre es wohl mehr als angebracht, konsequent jeder möglichen Chance nachzugehen, die einen Beitrag zur so dringend nötigen Wiederbelebung der Wirtschaft leisten könnte.


Dr. Manfred DrennigDr. Manfred Drennig
Manager und Autor

Das Werk „Wirtschaftspolitik zwischen der Gier der Gewinner und der Wut der Verlierer“ geht ausführlich auf die immer enger gewordenen Zusammenhänge zwischen scheinbar rein wirtschaftlichen Phänomenen und den gravierenden soziologischen Verschiebungen unserer Gesellschaft ein. Es zeigt auch, dass so manche scheinbare wirtschaftliche Selbstverständlichkeiten mit den aktuellen statistisch fassbaren Entwicklungen immer weniger zusammenpassen